Fortbildung: Schutzsuchende Kinder, Jugendliche und Familien professionell begleiten

Entwicklungspsychologische und gesundheitsrelevante Bedürfnisse geflüchteter Minderjähriger und Familien in der Schweiz: Aktuelles Fachwissen und Handlungsmöglichkeiten aus einer transdisziplinären Perspektive 
 

Grundsätzliches

Fachleute unterschiedlicher Professionen begleiten Kinder, Jugendliche und Familien, die in die Schweiz geflüchtet sind. Sie sind dabei mit multiplen Problemlagen konfrontiert: Die kindlichen Fähigkeiten, Anliegen und Bedürfnisse sowie der Kinderschutz bleiben angesichts unübersichtlicher rechtlicher und familiärer Schwierigkeiten, schwerer Traumatisierungen und hohen Integrationsanforderungen von Seiten der Schweiz nicht selten auf der Strecke. Manchmal schwächt dies die Motivation von uns Fachleuten, weil wir das, was wir gelernt haben und wofür wir einstehen, nicht umsetzen können.

Auf der Basis der Erfahrungen aus den «aacho»-Angeboten des Vereins family-help in Zürich richtet sich diese Fortbildung an Fachleute, die sich vermehrt auf die individuellen Bedürfnisse geflüchteter der Kinder, Jugendlicher und die systemischen Fragen schutzsuchender Familien einstellen möchten und nach neuen Handlungsmöglichkeiten suchen. Trotz rechtlicher, politischer und institutioneller Unwegsamkeit stehen die schutzsuchenden Kinder, Jugendlichen und deren Zukunft im Zentrum.

In der Fortbildung werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Säuglings-, Bindungs- und Traumaforschung, den Neuro- und Kulturwissenschaften, der Ethnopsychoanalyse und der asyl-, kinder- und familienrechtlichen Praxis in der Schweiz in Form von theoretischen Inputs vermittelt. Der Blick auf vielfältige Ansätze und evidenzbasierte, langjährig erprobte Methoden wird erweitert (psychodynamische und systemische Ansätze, traumatherapeutische, -pädagogische und beraterische Methoden, körper-, spiel-, ausdrucks- und hypnotherapeutische Techniken  u.a.).

Die Inhalte werden in Gruppen in Form praktischer Übungen erfahrbar gemacht und eingeübt. Videobeispiele, kleine Fallgeschichten und Selbsterfahrungssequenzen wechseln sich ab. Fragen und Anliegen aus dem Praxisalltag der Teilnehmer:innen werden anhand konkreter Fallarbeit und Analysen der komplexen Alltagssituationen supervidiert.

Ziele der Fortbildung

Gemeinsam suchen wir nach Möglichkeiten, neuen Wegen und kreativen Ansätzen, die jungen schutzsuchenden Menschen professionell zu begleiten, ihre Traumata zu behandeln, ihre Rechte zu schützen, und ihr Grundbedürfnis nach Menschlichkeit und Entwicklungsräumen im komplexen, oft rauen Umfeld zu würdigen und fachlich zu verteidigen. Wir reflektieren zudem, wie wir unsere eigenen Gefühle besser verstehen, regulieren und aushalten können.

Die Orientierung an entwicklungspsychologischen und gesundheitsrelevanten Bedürfnissen schutzsuchender Kinder, Jugendlicher und Familien sind gleichzeitig Ausgangspunkt und Ziel dieser Fortbildung.

Zielpublikum

Sozialpädagog:innen, Sozialarbeiter:innen, Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen, Krippen- und Hortleiter:innen, Lehrkräfte, Körpertherapeut:innen, Stellenleiter:innen und andere Fachleute, in deren Berufsalltag schutzsuchende Familien, Kinder und Jugendliche im Fokus stehen. 

Kursinhalt und Daten

Die Fortbildung besteht aus einem Einführungs- und einem Vertiefungsmodul à vier Kursen. Das Einführungs- und das Vertiefungsmodul werden in einer fixen Teilnehmer:innen-Gruppe sattfinden, damit eine vertrauensvolle Arbeitsbasis entstehen kann.

Einführungsmodul

Humanitäre Tradition, Kultur- und Entwicklungs-Perspektive

Menschlichkeit entwickelt sich auf der Grundlage von vertrauensvollen Beziehungserfahrungen. Kulturelle Systeme und Bedeutungen basieren auf vielfältigen zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen. Gesunde individuelle wie kollektive Entwicklungsprozesse des Menschen bedürfen Grunderfahrungen von Zugehörigkeit und einer sicheren Basis, damit Schritte in die Autonomie, freiheitliches demokratisches Denken und Handeln möglich werden. Im Einführungsmodul werden eine gemeinsame Basis und ein umfassendes Verständnis auf diese komplexen Zusammenhänge und Prozesse vermittelt und diskutiert.

  • Menschbild und Menschenrechte: professionelle Haltung in Beziehungen
  • Ethnologische Erkenntnisse und Kulturverständnis: Bedeutung einer transkulturellen Perspektive auf Beziehung, Familie und Entwicklung
  • Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ich- und Wir-Kulturen
  • Entwicklungspychologische Grundlagen: Gesunde psychische Entwicklung zwischen Bindung, Beziehung und Autonomiestreben
  • Entwicklungspsychologisch relevante Phasen und Krisen und ihre Bedeutung fürs Leben (Familiengründung, Neugeborenenzeit, frühe Kindheit, Primarschulzeit, Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter)
  • Das Potential eines jeden Kindes, eines jeden Menschen: Schatztruhe der transkulturellen Entwicklungsperspektive
  • Situation in der Schweiz: Relevante Studien zu unbegleiteten Geflüchteten, geflüchteten begleiteten (Klein)Kindern und Familien, inkl. Kinder in der Nothilfe

3./4.

April 2025

15./16.

Januar 2026

 Vertiefungsmodul (nur als Block buchbar)                                                                                                                                                                 Durchgang 2025Durchgang 2026

Kurs 

I

Gesundheits-Perspektive

Traumatisierte Menschen entwickeln starke Symptome auf allen Ebenen des Denkens, Fühlens und Verhaltens, bezüglich Wertesystem und Weltbild, der Empathie. Widerfahren Kinder und Jugendliche während sensibler Entwicklungsphasen wiederholte traumatische Ereignisse hat dies schwere Auswirkungen auf ihren Entwicklungsprozess und kann lebenslange Folgen für ihre körperliche und psychische Gesundheit und ihre Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuleben, haben. Bei einer Chronifizierung der schädigenden Ereignisse und Faktoren verstärken sich die Symptome. Oft werden sie über Generationen hinweg weitergegeben. Trotzdem werden die die komplexen Symptome oft unzureichend erkannt. Gleichzeitig werden die Ressourcen und starken Lebenskräfte der jungen Menschen unterschätzt oder übersehen. Im Kurs werden diese Prozesse, Dynamiken und Folgen erklärt und der Umgang damit in den verschiedenen Professionen eingeübt.

  • Traumatheoretische Grundlagen, Körperwissen und Nervensystem
  • Komplextrauma, Entwicklungstraumastörung und transgenerationale Weitergabe von Traumata
  • Implizites und explizites Gedächtnis (Perspektive des Unbewussten)
  • Diagnostik, Interaktionsanalyse, Verhaltensbeobachtung und Abklärungen
  • Medizinische Perspektive und Ansätze des im Dienste des „fit-ins“, Notfälle
  • Traumapädagogik und -therapie aus der Entwicklungs- und Beziehungsperspektive bei Geflüchteten: Verstehen, Begleiten und Behandeln (in Beratung und Therapie)
  • Die Konzepte von Übertragung und Gegenübertragung im Kontakt mit traumatisierten Menschen
  • Körperwahrnehmung und Körperarbeit, Einstimmen (Elemente aus der körpertherapeutischen Traumaarbeit wie somatic experience u.a.)
  • Unterschiedliche Entwicklungsalter in einer Person, Teilearbeit
12./13. Juni 202512./13. März 2026

Kurs 

II

Rechtliche und sozialarbeiterische Perspektive

Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Jurist:innen und Gesundheits- sowie sozial-pädagogischen/arbeiterischen Fachleuten im Interesse eines Kindes oder einer Familie ist anspruchsvoll und bedarf einer sorgfältigen Kommunikation und Zusammenarbeit. Oft stehen im Asylverfahren die Interessen der Erwachsenen im Vordergrund, die der begleiteten Kinder werden kaum beachtet. Sowohl bei unbegleiteten wie auch bei begleiteten Kindern geht die Klärung und Verteidigung der Rechte der Kinder oft (teilweise) verloren. Die herkömmlichen Systeme des Kinderschutzes scheinen nicht zu greifen, professionelles Handeln wird erschwert, oder gar verunmöglicht. Im Kurs werden unterschiedliche rechtliche Mittel und die institutionelle Landschaft beleuchtet sowie mögliche Wege der fruchtbaren und zukunftweisenden Zusammenarbeit gemeinsam erarbeitet.

  • Kinderrechtliche, asyl- und familienrechtliche Grundlagen
  • Institutionelle Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in der Schweiz, insbesondere im Kanton Zürich
  • Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschusses an die Schweiz 2021
  • Kinderschutz und kinderrechtliche Verfahrensmöglichkeiten
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Rechtsverteter:innen, Jurist:innen und Gesundheitsfachleuten
  • Stellungnahmen, Begutachtung und Berichtwesen
  • Täter-Opfer-Retter-Dreieck
  • Rollenfindung und Aufgabendefinition im institutionellen und hoch politisierten Umfeld
14./15. August 202521./22. Mai 2026

Kurs 

III

 Ansätze und Methoden

Weil Menschen so vielfältig und unterschiedlich sind und weil sowohl eine eurozentristische Sichtweise, die Erwachsenenperspektive und unsere schweizerische Sozialisation unsere Offenheit einengen, gehören Kompetenzen in der Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit und eine methodische Vielfalt zum professionellen Repertoire in der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Im Kurs werden unterschiedliche Haltungen, Ansätze und Methoden präsentiert, spielerisch erfahrbar gemacht, erkundet, eingeübt und lustvoll erprobt.

  • Langfristige Beziehungs-Perspektiven schaffen (in der Fallarbeit und auf institutioneller Ebene)
  • Entwicklungs-, Frei- und Spielräume ermöglichen und verteidigen (in der Fallarbeit und auf institutioneller Ebene)
  • Auf Augenhöhe mit den Klient:innen, Brückenbauen und emphatische Übersetzungsarbeit leisten, „Fit-in“ suchen, Flexibilität und individuelle Passung im Einzelfall finden
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit: das gemeinsame Fallverständnis
  • Arbeiten mit Dolmetscher:innen und Kulturvermittler:innen
  • Mehrdimensionale und kreative Ansätze im Dienste des „fit-ins“ und des individuellen Verstehens und Prozessierens: Feinzeichen der Befindlichkeit und Symbolisierung über unterschiedliche entwicklungspsychologisch relevante Ausdruckskanäle, Spielen, Einschwingen und Perspektivenübernahme, Empathie, Halt geben und Führen, Autorität in Beziehung, Lesen zwischen den Zeilen und Kulturen, kreative Sprachlichkeit und Nonverbales, systemische (Be)Deutung, Verstehensprozesse u.a. als Teamwork
11./12. September
2025
2./3.
Juli 2026

Kurs 

IV

Integrative Perspektive

Im Kurs werden alle bisherigen Kursinhalte im Sinne eines umfassenden Verständnisses integrativ zusammengeführt und aus einer transdisziplinären Sicht vertieft. Die Möglichkeiten und Grenzen der institutionellen, ökonomischen und der je persönlichen Veränderungs- und Anpassungsleistungen werden reflektiert, Verbindungs- und Veränderungspotential aufgespürt Last but not least werden Fragen nach der Teilhabe, nach Integrationsmöglichkeiten und -perspektiven minderjähriger Schutzsuchender in der Schweiz diskutiert und Handlungsoptionen aufgezeigt. Sinnfragen sollen Raum bekommen, damit Visionen erarbeitet werden können.

  • Vertiefung und Zusammenführen der Kursinhalte
  • Die Bedeutung von Psychohygiene, Selbsterfahrung und Supervision
  • Umgang mit den grossen Menschheitsthemen Gewalt, Krieg, Tod, Trauma
  • Reflexion der eigenen und kollektiven schweizerischen Sozialisation, des Umganges mit der Armut in der Geschichte der Schweiz, der Auswanderungsthematik und des Eurozentrismus
  • Schatztruhe Trauma und spirituelle Aspekte
  • Ausblick auf die Zukunftsvisionen, der Jugendlichen, die zukünftigen Gegebenheiten, die nachfolgende Generation
  • Institutionelle und finanzielle Rahmenbedingungen: Grenzen und Möglichkeiten
  • Spannnungsfelder: Denken und Handeln in spezialisierten Strukturen oder in konzentrischen Kreisen um die Bedürfnisse des einzelnen Kindes, der einzelnen Jugendlichen
  • Integration als gegenseitiger Anpassungs- und Veränderungsprozess, Reflexion der eigenen Kultur
  • Teilhabe, Zugehörigkeit und Veränderungspotential, Visionen
6./7. November 20253./4. September 2026

Dozentinnen

Gesamtleitung, zwei der folgenden Dozent:innen werden immer vor Ort sein

  • Sandra Rumpel, lic. phil.: eidg. anerkannte Psychotherapeutin ASP/SBAP für Kinder, Jugendliche und Familien, Gründerin Verein family-help und Co-Leitung der «aacho»-Projekte
  • Hannah Ospelt, M.Sc.: eidg. anerkannte Psychotherapeutin FSP für Kinder, Jugendliche und Familien, Co-Leitung «aacho»-Projekt für weibliche MNAs
  • Antonia Stulz-Koller, Dr. med.: FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Gründerin Verein family-help und Co-Leitung der «aacho»-Projekte

Thematischer Einbezug weiterer Dozent:innen

  • Erfahrene Rechtverstreter:innen, Rechtsanwält:innen mit Schwerpunkten Asyl-, Ausländer-, Kinder- und Familienrecht
  • Fachpersonen im Kinderschutz
  • Körpertherapeut:innen

Fachliche Anerkennung

Die Kursleiterinnen sind aktuell daran, Credits bei der SGKJPP, der FSP, dem SBAP und der ASP zu erlangen.

Ort
baby-hilfe-zuerich
Arterstrasse 24
8032 Zürich

In 10 Minuten zu Fuss vom Bahnhof Stadelhofen erreichbar.

Uhrzeit
Jeweils 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr (1 Stunde Mittagspause)

8 Lektionen à 45 Minuten

Kosten

Einführungsmodul: CHF 580.- 
Vertiefungsmodul Kurse I-IV:  je CHF 580.- CHF
Gesamte Fortbildung: 2'900 CHF

Jeder Kurs wird einzeln in Rechnung gestellt oder auf Wunsch auch einmalig die Gesamtkosten. Die Rechnung ist bis 30 Tage vor Beginn des Kurses zu begleichen. Bei finanziellen Schwierigkeiten nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf.

Bei einer Abmeldung bis 20 Tagen vor wird ein Unkostenbeitrag von CHF 100 in Rechnung gestellt, danach sind die vollen Kosten geschuldet, ausser der Platz kann durch ein Nachrücken von der Warteliste wieder vergeben werden.

Anmeldung
Über unser Online-Formular oder per E-Mail an verein@family-help.ch

Der Kurs findet ab 14 und mit maximal 20 Teilnehmer:innen statt.